Borderline-Persönlichkeitsstörung

  1.  Borderline-Persönlichkeitsstörung
  2. Diagnose und Therapie
  3. Entstehung nach M. Linehan und M. Bohus
  4. Entstehung nach Daniel N. Stern
  5. Bedeutung der frühen Mutter-Kind-Beziehung
  6. Borderline-Eltern
  7. Neurobiologische Erklärung
  8. Literatur

6. Eltern von Betroffenen, die an einer Borderline-Störung leiden 

 In den Biografien vieler Betroffener findet sich bei deren Eltern oder einem Elternteil selber eine Borderline-Störung. Diese Eltern hatten wiederum große Probleme mit ihren Eltern. Sie haben nur eine unzureichende Entwicklung zum Erwachsenen gemacht und sind hinter ihrer Fassade bedürftige und unreife Kinder geblieben, die versorgt werden wollen. Es kommt in diesen Familien vor, dass diese Eltern ihren eigenen Kindern gegenüber fordernd sind und ihnen Verantwortung und Sorge für sich übertragen, so dass sich die Kinder um die Eltern kümmern, statt umgekehrt. Solch ein "parentifizierendes" Verhalten haben diese Eltern wiederum von ihren Eltern erfahren und geben dies unhinterfragt weiter. In manchen Fällen kann dies Extreme annehmen, so dass sich mittlerweile erwachsene Kinder für ihre Eltern oder ihren Elternteil verantwortlich fühlen und die Ablösung nicht oder nur unter großen Schuldgefühlen stattfindet. Diese erwachsenen Kinder verbleiben weiterhin in der symbiotischen, engen und abhängigen Beziehung zu ihren (Kinder)-Eltern und haben Angst, die über Generationen hinweg existierende dysfunktionale Familienregel aufzuheben.

Die Borderline-Eltern haben von ihren Eltern nie ausreichend Verständnis, Empathie und Versorgung erfahren und somit auch nicht gelernt, dies an ihre Kinder weiterzugeben. So entmutigen, verzerren, vernachlässigen, misshandeln oder missbrauchen Borderline-Eltern ihre Kinder genauso, wie sie es erfahren haben. Sie verhalten sich egozentrisch, auf die eigenen Bedürfnisse bezogen, konkurrierend ihren Kindern gegenüber, bis hin zu Missachtung und Beschämung. So lernt das Kind, sich überanzupassen, zu verleugnen, zu verstellen, und verliert den Bezug zu seinen eigenen Bedürfnissen und zu sich selbst. Es entwickelt sich immer mehr eine Als-ob-Persönlichkeit, hinter der sich Leere, Gefühle der Sinnlosigkeit und Traurigkeit befinden, weil ein großer Teil der Person geopfert wurde um die Beziehung zu den Eltern zu erhalten. Dies erklärt die oftmals bei Borderline empfundenen Leeregefühle und Identitätsunsicherheit einerseits und wiederkehrende Scham- und Unsicherheitsgefühle andererseits, die aus diesen zerstörerischen Bindungsmustern und Einstellungen von den Borderline-Eltern entstanden sind.

Wenn Borderline-Eltern im Umgang mit ihren Kindern überfordert sind, neigen sie zu emotionaler Überreaktion, zu Angst oder Unsicherheit und reagieren unangemessen. Sie beschimpfen, entwerten, dämonisieren ihr Kind und beschädigen nachhaltig damit dessen Selbstbild. Statt dem Kind zu helfen oder Vorbild zu sein und angemessener Grenzsetzung beizubringen, wie es Gefühle regulieren kann, oder Probleme angemessen lösen lernt, versagen die Eltern im Umgang mit ihren eigenen Gefühlen und Situationen. Aus Mangel an Selbstkritik - was wiederum Kennzeichen ihrer Unreife ist - weisen sie eigenes Versagen von sich und geben stattdessen den Kindern die Schuld für das Misslingen. So entstehen verzerrte, negative Selbstbilder bei den Kindern: "Ich bin schlecht. Ich bin eine schlechtes Kind. Ich bin an allem schuld. Ich bin 'das Letzte‚. Mich kann man nicht lieben. Ich bin böse, der Teufel, die Bestrafung Gottes. Ich weiß nicht, wer ich bin, nur dass ich schlecht bin. Ich bin verdammt", usw.

Gefühle "alleingelassen zu sein", stehen im Zusammenhang mit dem Unvermögen von Borderline-Eltern, in wichtigen Situationen als reife Erwachsene ihren Kindern nicht zur Verfügung gestanden zu haben, zum Beispiel, wenn diese deren Hilfe und Unterstützung benötigten oder wichtige Lebensstationen begleiten sollten.

Borderline-Eltern tragen ihre ungelösten emotionalen Probleme als inneres Chaos in sich und sind nicht im Stande, ihren Kindern Wege aufzuzeigen, wie emotionales Chaos angemessen gelöst werden kann.

Oftmals verstricken Borderline-Eltern ihre Kinder in ihre vorhandenen Partnerschaftskonflikte und fordern deren Unterstützung oder bedingungslose Loyalität ein, was für das Kind ein unlösbares Problem ist, weil es diese Forderungen nicht erfüllen kann und beide Eltern nicht verlieren möchte. Borderline-Eltern weigern sich, angemessene Verantwortung für sich, ihre Gefühle und Handlungen zu übernehmen. Sie halten ihr eigenes Denken und Fühlen für richtig und legitimieren ihr gestörtes Verhalten, indem sie die Schuld dafür ihren Kindern geben. Selbst die Verantwortung für selbstverletzendes und suizidales Verhalten wird entsprechend rechtfertigt. "Du treibst mich soweit...". Es gibt Eltern, die ihre Kinder damit regelrecht emotional erpressen. Andere Eltern gehen nach Streit und Auseinandersetzung aus dem Haus, sind stunden oder gar tagelang verschwunden und schüren so Ängste und Schuldgefühle ihrer Kinder.

Zusammengefasst: Es besteht die Gefahr, dass Kinder von Borderline-Eltern auf demselben infantilen Entwicklungsstand stehen bleiben. Durch eine gezielte Therapie lässt sich dieser Entwicklungsrückstand aufholen. Das zeigen viele positive Therapieverläufe bei Patienten mit Borderline.

Literatur:

  • Lawson, Christine Ann: Borderline-Mütter und ihre Kinder: Wege zur Bewältigung einer schwierigen Beziehung, Gießen 2006Miller, Alice: Am Anfang war Erziehung, Berlin 1983

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