Borderline-Persönlichkeitsstörung

  1.  Borderline-Persönlichkeitsstörung
  2. Diagnose und Therapie
  3. Entstehung nach M. Linehan und M. Bohus
  4. Entstehung nach Daniel N. Stern
  5. Bedeutung der frühen Mutter-Kind-Beziehung
  6. Borderline-Eltern
  7. Neurobiologische Erklärung
  8. Literatur

2. Diagnose und Therapie  

 

Diagnose

Man sollte bei der Diagnose der Borderline-Störungen eine mögliche Bedeutung von sexuellem Missbrauch unbedingt in Betracht ziehen. Eine der traumatischsten Erfahrungen in der Kindheit ist sexueller Missbrauch. Aufgrund zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen wird angenommen, dass bis zu 75% der Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung irgendeine Form von sexuellem Missbrauch in der Kindheit erlebt haben. Das häufige Vorkommen eines solchen Missbrauchs scheint Borderline-Klientinnen von anderen Störungsgruppen zu unterscheiden. Die Forschung weist deutlich darauf hin, dass sexueller Missbrauch in der Kindheit ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung der Borderline-Störung ist.

Therapie

Die Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) ist ein von Marsha M. Linehan, einer amerikanischen Professorin für Psychologie und Verhaltenstherapeutin an der Universität von Seattle in Washington entwickeltes Therapiemodell und -konzept zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Behandlungsmethode wird sowohl im Rahmen stationärer als auch ambulanter psychiatrisch-psychotherapeutischer Arbeit angewandt.

Grundlagen

In der Dialektisch-behavioralen Therapie werden Techniken von der Verhaltenstherapie, der Gesprächs- und Hypnotherapie übernommen. Insbesondere wird darin eine bestimmte Art von bewusster Selbstwahrnehmung aus der östlichen Philosophie, z.B. die "innere Achtsamkeit" übernommen. DBT wurde als ambulante Therapieform entwickelt und besteht im Wesentlichen aus den vier Therapiebausteinen:

  • Einzeltherapie
  • Fertigkeitentraining in der Gruppe
  • Telefonkontakt im Notfall und regelmäßige Intervision der Therapeuten.
  • Inzwischen wurde die DBT nicht nur auf stationäre Behandlungsformen adaptiert, sondern auch für verschiedene Patientengruppen (Jugendliche, Patienten mit Essstörungen, im Strafvollzug und so weiter).

In der Einzeltherapie werden die Problembereiche hierarchisch im Sinne der Dringlichkeit geordnet. An oberster Stelle stehen suizidales und parasuizidales Verhalten, gefolgt von therapiegefährdendem Verhalten, Beeinträchtigungen der Lebensqualität und der Verbesserung von Verhaltensfertigkeiten. Die Problemfelder werden in dieser Reihenfolge bearbeitet. Wenn notwendig, wird sofort wieder auf eine höhere Ebene zurück gegangen. Der Einzeltherapeut versucht eine Balance zwischen Validierungs- (Verstehen und Wertschätzen des Problems) und Veränderungsstrategien zu finden ("dialektische Strategie", Linehan, 1996). Hierfür werden Interventionen aus der kognitiven Verhaltenstherapie, der Hypnotherapie, humanistischen Therapien und dem Zen eingesetzt.

Grundlage ist eine tragfähige therapeutische Beziehung.

Methode

Einzeltherapie:
Besondere Rolle bei der Behandlung von BPS-Patienten kommt der therapeutischen Beziehung zu, da diese Patienten mehr als andere zu voreiligen Therapiabbrüchen, schwierigem Agieren, extremen Negativismus usw. neigen, insbesondere durch ihre diversen Problemen im emotionalen als auch zwischenmenschlichen Bereich und entsprechendem Mangel an geeigneten Bewältigungsformen. Zwischen den Patienten und Therapeut/Klinik wird ein sog. "Commitment" (dt: Verbindlichkeit) hergestellt. Die Patienten verpflichten sich zur Mitarbeit und Einhaltung von Regeln und Abmachungen, der Therapeut verpflichtet sich zur bestmöglichen Hilfestellung. Das Commitment wird regelmäßig während der Therapie geprüft und ggf. erneuert oder modifiziert (erweitert).

Die Patienten führen eine Tagebuchkarte, in die Medikamenteneinnahme, Spannungszustände, Drogenkonsum und dysfunktionale Verhaltensweisen einzutragen sind. Durch Verhaltensanalysen sollen die Betroffenen Einsicht in den Spannungsaufbau erhalten und lernen, das im Fertigkeitentraining Gelernte in Handlungspläne einzubauen. Nach selbstverletzendem Verhalten oder Suizidversuchen werden die Patienten gebeten, solche Analysen selbst anzufertigen. Voraussetzung für die eventuelle Bearbeitung eines Traumas in einem zweiten Therapieabschnitt ist, dass die Patienten gelernt haben, emotionale Krisen, Spannungszustände und Dissoziationen selbst durch die gelernten Fertigkeiten zu regulieren. Die Traumabearbeitung erfolgt durch Techniken aus der kognitiven Verhaltenstherapie und durch Expositionsstrategien.

Fertigkeitentraining in der Gruppentherapie
(Die Fertigkeiten können natürlich ebenso in einer Einzeltherapie vermittelt werden).
"Das Fertigkeitentraining ist der Ton, aus dem die Einzeltherapeutin und Patient/in eine Figur modellieren können" (Linehan, 1996). Damit ist gemeint, dass die in der Gruppe gelernten Fertigkeiten in der Einzeltherapie in die erarbeiteten Verhaltensanalysen und Handlungspläne eingebaut und zu einem sinnvollen Ganzen verbunden werden. Die Gruppe wird von zwei Therapeuten geleitet. Das Fertigkeitentraining hat Workshop-Charakter, Gruppendynamik wird nur soweit wie notwendig thematisiert. Der Schwerpunkt liegt auf dem Lehren von Fertigkeiten. Interaktionelle Probleme werden "DBT-mäßig" durch das Anwenden von Fertigkeiten gelöst. Kritik und Anregungen seitens der Teilnehmer sind ausdrücklich erwünscht, eine experimentell- partnerschaftliche Atmosphäre soll entstehen.

Das Fertigkeitentraining findet wöchentlich statt und besteht aus den vier Modulen:

  • Innere Achtsamkeit
  • Zwischenmenschliche Fertigkeiten
  • Umgang mit Gefühlen und
  • Stresstoleranz , die insgesamt 12 bis 20 Sitzungen in Anspruch nehmen.

Im Modul Innere Achtsamkeit lernen die Patienten die Fertigkeiten Wahrnehmen, Beschreiben, Teilnehmen, sowie ein nicht bewertendes, konzentriertes und wirkungsvolles Denken und Handeln. Hier sind die Zeneinflüsse unübersehbar. Ziel ist, mehr Bewusstheit und Steuerungsmöglichkeiten im Alltag über sich selbst zu bekommen. Teilnahme und Distanz, Gefühl und Verstand sollen miteinander in Einklang gebracht werden.

Das Modul Zwischenmenschliche Fertigkeiten vermittelt die Basisfertigkeiten Orientierung auf ein Ziel, Orientierung auf die Selbstachtung und Orientierung auf die Beziehung. Faktoren, die die soziale Kompetenz beeinträchtigen und solche, die sie fördern, werden identifiziert. Förderliche Selbstaussagen werden erarbeitet. Ziel ist, dass Patienten auf eigenen Wünschen, Zielen und Meinungen bestehen können und dabei sowohl von anderen Menschen respektiert werden, als auch die eigene Selbstachtung aufrechterhalten.

Im Programmteil Umgang mit Gefühlen wird vermittelt, dass Gefühle (auch solche, die als unangenehm erlebt werden) eine Funktion und eine Bedeutung haben. Fertigkeiten wie Beobachten, Beschreiben und Verstehen von Gefühlen, Verwundbarkeit verringern, Schritte in Richtung angenehmer Gefühle tun, emotionales Leiden loslassen und dem Gefühl entgegengesetzt handeln werden besprochen und geübt. Ziel ist, Gefühle in ihren Bedeutungen und Auswirkungen verstehen und akzeptieren zu lernen. Das Vertrauen in die eigene Gefühlswelt soll erhöht werden.

Im Programmpunkt Stresstoleranz lernen die Patienten, Krisen auszuhalten und Spannung zu reduzieren durch Techniken wie: sich durch starke sensorische Reize ablenken (z.B. Eiswürfel), durch verschiedene Techniken "den Augenblick verbessern", "Pro und Contra" (welche Argumente sprechen für selbstverletzendes Verhalten, welche dagegen), Akzeptieren der Realität, Atemübungen, "leichtes Lächeln" und Achtsamkeitsübungen. Ein weiteres Ziel ist, zu lernen, unangenehme Ereignisse und Gefühle zu ertragen, wenn sich die Situation nicht verändern lässt ("Radikale Akzeptanz").

Die Patienten werden angeleitet, sich einen individuellen "Notfallkoffer" einzurichten, in dem wichtige Hilfsmittel für Stresstoleranz-Fertigkeiten aufbewahrt werden. Kärtchen, auf denen die hilfreichsten Fertigkeiten eingetragen sind, sollten die Patienten bei sich tragen. Die Patienten erhalten außerdem Formulare, auf denen die gelernten Fertigkeiten eingetragen sind und protokollieren, welche Fertigkeiten sie mit welchen Erfolg geübt haben.

Telefonkontakt

Patienten können in suizidalen Krisen, oder bevor sie sich selbst verletzen, ihre Therapeuten anrufen. Die telefonische Erreichbarkeit muss mit dem Therapeuten vorher geklärt werden und richtet sich auch nach den Grenzen der Therapeuten. Die Telefongespräche sollen nach bestimmten Regeln ablaufen. Die Patienten berichten, warum sie sich in einer Krise befinden und welche Fertigkeiten sie bereits ausprobiert haben. Therapeut und Patienten besprechen Fertigkeiten, die die Patienten einsetzen sollen. Dazu ist es hilfreich, wenn die Patienten gelernte Fertigkeiten benennen können.

Verletzen sich die Patienten selbst, oder begehen sie einen Suizidversuch, sollte dies nicht durch vermehrte Zuwendung verstärkt werden, was nicht leicht zu realisieren ist. Ziel ist, dass die Patienten im nachhinein Verhaltensanalysen dieser Situationen anfertigen.

Deutlicher Therapieerfolg der DBT

Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) hat in bisher vorliegenden prospektiven randomisierten (ausgewählte Langzeitstudien, die nach dem Zufall ausgewählt miteinander verglichen wurden) Therapievergleichstudien deutlich positivere Behandlungsverläufe und überzeugendere Therapieerfolge gegenüber den konventionellen verhaltenstherapeutischen und tiefenpsychologischen Ansätzen gezeigt. Der Wirksamkeitsnachweis ist für die DBT durch unterschiedliche Studien vor allem für das Problemverhalten als Zielgröße, z.B. "suizidales" und "selbstverletzendes Verhalten" aber auch "hospitalisationsförderndes Verhalten" erbracht worden (siehe Linehan et al. 1999, 1998; Bohus, Martin et al. 1996). Die Überlegenheit bzgl. der sozialen und beruflichen Integration sowie der Hospitalisierungsdauer war auch ein Jahr nach Abschluss der Therapie noch nachweisbar (zusammenfassend Bohus et al. 1996; Linehan et al. 1993; kritisch dazu Dammann et al., 2000).

Die in ihren Ausprägungen fließende Gruppe der BPS mit vielfachen selbstverletztenden und primär nicht final angelegten suizidalen Handlungen (Parasuizidalität) zeigt nach Linehan folgende Verhaltensmuster, die für sich genommen Zielvariablen des DBT-Konzepts sind:

  • Emotionale Vulnerabilität, (emotionale Dysregulation)
  • Negation des eigenen Denkens, Fühlens und Handelns
  • Unvermeidliche Krisen
  • Blockierung von Trauer
  • Aktive Passivität
  • Pseudokompetenz

Nach Linehan steht bei BPS die Störung der Emotionsregulation im Vordergrund. Gleichzeitig können neurobiologische Vulnerabilitäten, frühe traumatische Erlebnisse und ein in der frühen Entwicklungsphase invalidierendes psychosoziales Umfeld zur Ausgestaltung einer komplexen emotionalen Dysregulation mit dysfunktionaler Grundannahmen und Handlungsfolgen vorhanden sein. Bei Borderlinestörungen kann eine

  1. in der Intensität überhöhte, wenig differenzierte und verzögert wieder abklingende Ansprechbarkeit (Hyperarousel) auf vor allem negative emotionale Stimuli gepaart mit
  2. einer vornehmlich psychosozial bedingten Störung der Kommunikation (unzureichende Verbalisierung, Klärung interpersoneller Interaktionen), mit
  3. dem permanenten Gefühl der differenzierten und undifferenzierten Bedrohung und mit
  4. der Befürchtung vor Kontrollverlust und gesteigerter Anspannung beobachtet werden.

Diese emotionale Instabilität mit erhöhter Dekompensationsbereitschaft und Ressourcenverengung führt - zumeist psychosozial ausgelöst - in unterschiedlicher Ausprägung zu undifferenzierten, für die Patienten unerträglichen, exzessiven emotionalen Erregungszuständen, die wiederum von den Patienten nur - negativ verstärkt - durch Selbstverletzung unterbrochen werden können. Diese emotionale Dysregulation bestimmt vielschichtig die zumeist chaotische Beziehungsgestaltung des an einer Borderlinestörung leidenden Patienten zu sich und zu anderen Menschen. Die DBT der Patienten mit einer BPS zeigt nun folgende markante Vorteile der DBT gegenüber anderen etablierten Therapien:

  • Die Frequenz von selbstverletzendem Verhalten nimmt deutlich ab,
  • die Häufigkeit von Therapieabbrüchen und Therapeutenwechseln wird reduziert,
  • die Anzahl der stationären Behandlungstage pro Jahr verringert sich,
  • die Behandlungskosten pro PatientIn und Jahr sind geringer.

Die dialektisch-behaviorale Therapie, die konzeptuell auf die Aufarbeitung spezifischer Defizite von wichtigen Basisfertigkeiten bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen abzielt, ist eine Modifizierung verschiedener Behandlungsmethoden der Verhaltenstherapie. Ein Verhaltenstherapeut oder -therapeutin muss hierzu eine spezifische therapeutische Zusatzausbildung absolvieren, da in der Verhaltenstherapieausbildung selber keine vertiefte Vermittlung dieses komplexen Störungsbildes und dessen Behandlung stattfindet. Entsprechende Ausbildungsangebote finden sich unter untenstehenden Weblink des Deutschen DBT-Dachverbandes.

Literatur:

  • Bohus, M. und Berger, M. (1996). Die dialektisch-behaviorale Psychotherapie nach M. Linehan. Ein neues Konzept zur Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Nervenarzt, 67, S. 911-923.
  • Dammann, G., Clarkin, J. F. & Kächele, H. (2000). Psychotherapieforschung und Borderline-Störung: Resultate und Probleme. In O. F. Kernberg, B. Dulz & U. Sachsse (Hrsg.), Handbuch der Borderline-Störungen (S. 701-730). Stuttgart: Schattauer.

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