Trauma

  1. Trauma und EMDR
  2. Normale Funktion des Gehirns
  3. Veränderte Gehirnfunktion beim Trauma
  4. Folgen der veränderten Funktionsweise

2. Wie funktioniert das menschliche Gehirn normalerweise?

 Im normalen Alltag geht dem menschlichen Großhirn ein kontinuierlicher Strom von Sinnesdaten und Informationen zu. Diese Informationen werden auf verschiedenen Hierarchieebenen des Gehirns nach ihrer Wichtigkeit geordnet und entsprechend gefiltert und ausgewählt. Von den vielen uns umgebenden Sinnesdaten erreichen nur wenige das Bewusstsein, weil ständig nachdrängende neue Sinnesinformationen alte überschreiben, die wir, weil unwichtig, einfach vergessen. Für diesen hier sehr vereinfacht dargestellten Prozess sind folgende Gehirnzentren zuständig:

Der Thalamus (Stammhirn) ist eine Art "Schaltzentrale". Es stellt Verbindungen zwischen den ankommenden Sinnesreizen (vom Rückenmark, Sehnerv, Hörnerv, usw.) und den anderen Gehirnteilen her.

Der Hippocampus, Teil des limbischen Systems, erzeugt eine räumliche Karte der Umgebung (Orientierung), speichert einfache Erinnerungen, und kategorisiert die Erfahrungen ähnlich einer Skizze.

Die Amygdala (Mandelkern), ebenfalls ein Teil des limbischen Systems, welches für die Verarbeitung von Emotionen und Erinnerungen zuständig ist, dient als eine Art "Vorfilter" für Sinneseindrücke, das "unwichtige" Sinneseindrücke von wichtigen (überlebenswichtigen) unterscheidet und ihnen eine Bedeutung zuordnet. Hier werden in einer sehr schnellen Weise grundlegende Gefühle von Angst, Flucht und Kampfbereitstellungen mobilisiert.

Das menschliche Großhirn (auch Neocortex genannt) kann an dieser Stelle in seiner ganzen Funktion nur sehr verkürzt wiedergegeben werden. Es ist größer als bei fast allen anderen Tieren, entwicklungsgeschichtlich jünger als andere Hirnteile und Sitz des normalen Alltags-Bewusstseins und Alltags-Gedächtnisses. Man nennt dieses Gedächtnis auch das explizite Gedächtnis oder narratives Gedächtnis, weil es längere Szenen und Geschichten speichern und wiedergeben kann. Es ist in der Lage, längere Ketten oder zeitliche Folgen von Ereignissen oder Sinneseindrücken zu bewerten, zu interpretieren, und ihnen einen Sinn zu geben. Das Großhirn arbeitet wesentlich langsamer als alle anderen Gehirnteile, dafür kann es aber auch wesentlich mehr (was nicht zuletzt auch den Unterschied zwischen niederen Tieren und Primaten / Mensch ausmacht). Die impliziten Gedächtnisse sitzen in den evolutionsgeschichtlich älteren Teilen des Gehirns. Sie speichern die vor-interpretierten Sinneseindrücke aus der Amygdala und kategorisierte Erfahrungen aus dem Hippocampus weitgehend uninterpretiert. Für jeden Sinneskanal gibt es mehrere voneinander getrennte unabhängige implizite Gedächtnisse: so gibt es beispielsweise eines für Töne und Geräusche, eines für Gerüche, für Farben und Formen, usw. Die Inhalte der impliziten Gedächtnisse sind nicht zeitlich sortiert, sondern kategorischer Art wie z.B. "Feuer = Verbrennungsgefahr". Es ist wichtig zu wissen, dass diese nicht-zeitliche Interpretation auf relativ niedriger Ebene stattfindet (wie bei Tieren) und einen "automatischen" Charakter hat, und dass es unabhängig vom expliziten Gedächtnis oftmals auch unbewusst abläuft.

Wichtig ist zu wissen, dass sowohl das implizite als auch das explizite Gedächtnis die Kontrolle über Reaktionen übernehmen können. "Automatisierte" Vorgänge wie das Gleichgewichthalten beim Radfahren, das Kuppeln und Schalten beim Autofahren, oder das Schreiben von Buchstaben (nicht jedoch die Sinn-Inhalte des Geschriebenen) werden vom impliziten Gedächtnis gesteuert; man kann dies daran erkennen, dass die entsprechenden Vorgänge trainiert werden müssen.

Unter mittelschwerem Stress scheint eine stärkere Aktivierung der Amygdala eine verbesserte Erinnerungsfähigkeit (des Hippocampus) für die Informationen zu bewirken. Wenn nun aber ein lebensbedrohliches Ereignis geschieht, wird dieser kontinuierliche Fluss von Informationen zu ihren Verarbeitungszentren u.a. durch eine Welle von Neurohormonen unterbrochen, die den Organismus mobilisieren. Diese Neurohormone scheinen nach Untersuchungen von Bremner et al. auch mit den wichtigen Symptomen der Traumafolgeerkrankungen zusammenzuhängen:

Die adrenergen Systeme schütten Adrenalin und Noradrenalin aus, das die Bereitstellungsreaktion für Kampf und Flucht erhöht. Bei den Traumafolgeerkrankungen z.B. PTBS), werden die adrenergen Systeme mit Ängsten, Übererregbarkeitssymptomatik und den Zustandsabhängigen (s.u.) Erinnerungen, die an der Flashback-Symptomatik beteiligt sind in Zusammenhang gebracht.

Die corticotropen Systeme schütten Cortisol und CRH aus, das. bei den Traumafolgeerkrankungen mit Ängsten, Hypervigilanz ("Überwachheit"), aber auch mit der dauerhaften Schädigung von Nervenzellen, speziell im Hippocampusbereich in Zusammenhang gebracht werden.

Die endogenen Opiate ermöglichen u. a. Analgesie (Schmerzunempfindlichkeit), scheinen aber auch mit Phänomenen der Dissoziation verbunden zu sein.

Dem dopaminergen System wird ebenfalls eine Beteiligung am Hypervigilanzphänomen zugeschrieben und das serotenerge System scheint an zustandsabhängigen Erinnerungen beteiligt zu sein.

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